Meditation als ‘Königsdisziplin’ oder ‘Ur-Mutter’ aller Therapien?
In Therapien
geht es m.E. immer darum, (meist alte) Wunden zu heilen; um eine Änderung dessen, was wahrgenommen wird.
Entweder wird das, was wahrgenommen wird – meist eine mehr oder weniger bewusste Szene –, geändert und/oder die Reaktion auf das Wahrgenommene . Es geht also um eine Korrektur; darum, dass etwas anders ist.
Beispielsweise soll durch eine Therapie das eigene Verhalten, die eigenen Reaktionsmuster bzw. durch eine Neu-Interpretation wie in d. Psychoanalyse oder eine Neu-Strukturierung (Familien-Aufstellung).
Ziel dabei ist letztendlich, Belastungen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen bzw. Schmerzhaftes aufzulösen oder zumindest zu lindern.
Meditation
im weitesten Sinne (z.B. “Achtsamkeit” im MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction oder auch im Open Focus Aufmerksamkeitstraining) hingegen lässt eigentlich alles so wie es ist – was das Wahrgenommene betrifft.
Was allerdings durch Meditationen (auch) anders ‘gemacht’ werden ‘soll’, ist
a) die Kunst das Objekt (das Unangenehme) in der Aufmerksamkeit halten zu können OHNE zu bewerten und sich abzulenken und dadurch
b) die Reaktionen auf das Wahrgenommen zu ändern wodurch sich schließlich
c) das Wahrgenommene selbst ‘anders’ wird, z.B. das eine belastende Erinnerung als ‘auftauchende und wieder verschwindende Farbpunkte und Formen’ erlebt werden kann.
Viellicht kann man sagen, dass durch Meditation als “Ankommen im gegenwärtigen, sinnlich erlebbaren Moment” die Macht der Phantasien (= Erinnerung der Vergangenheit & Vor-Stellungen über Zukunft) relativiert wird.
(Aus meiner Kenntnis greift z.B. a) das Psychodrama (J.L. Moreno) und – daraus abgeleitet – b) die Gestalttherapie (F. Perls) ‘die Wirkung und Ent-Machtung der Illusionen auf.
Entweder durch eine ‘Materialisierung des Kopfkinos’ (Psychodrama), indem das, was sich in Gedanken abspielt szenarisch auf eine Bühne gebracht wird, oder – umgekehrt, dass durch die sinnliche Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation deutlich gemacht wird, dass z.B. Angstphantasien nichts mit der realen Situation zu tun haben.
Auch die relative junge Acceptance Commitment Therapy (ACT) oder die MBSR basieren auf ‘alten’ Erfahrungen der Meditation.
Vielleicht liegt in “der reinen Wahrnehmung” (= Bewusstsein), der eigentliche Schlüssel zur Selbstheilung.
So wie sich Körperzellen durch einen ‘inneren’ Plan im Grunde immer selbst regenerieren und man ihnen nicht sagen muss, was sie dafür tun sollen, reguliert sich ‘die Psyche’ möglicherweise auch selbst, wenn “alles was da ist, da sein darf, so wie es ist”.
Neben Meditation bzw. MBSR gefällt mir deshalb wahrscheinlich Carl Rogers (personenzentrierte Gesprächstherapie) und Eugen Gendlin (Focusing) so gut, weil ich in deren Ansätzen und in ‚ihrer Person‘ und Haltung dieses „So-Sein-Dürfen-wie-man-ist“ wieder finde.
Und ist das nicht wiederum und eigentlich genau das, was jeder Mensch will?:
So sein zu dürfen, da sein dürfen, wie sie/er wirklich ist…
“Meditation is the only intentional, systematic human activity which at bottom is about not trying to improve yourself or get anywhere else, but simply to realize where you already are.”
Jon Kabat-Zinn, Wherever You Go, There You Are
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Vielen Dank
Ulrich Just
Ich begreife das buddhistische Karma gerne als Ansammlung von neurotischen „Strukturen“, Traumata, Komplexen oder schlichtweg suboptimalen Verhaltensweisen, die über Generationen weitergegeben werden.
Im Chorgesang des Zen-Meister Hakuin heißt es: „Wem nur ein einmaliger Sitz sich vollendet, dem löst sich alles Karma auf, angehäuft in zahllosen Leben.“
Genau das ist für mich Meditation. In der Meditation werde ich zu einem gewissen Grade frei von allem, was mich geprägt hat. Und auch kurze Zeit nach der Meditation bewege ich mich wie mit einem jungfräulichen Verstand durch die Welt – bis die alten Muster dann wieder greifen, wenn auch immer weniger erfolgreich.
Wer in dem Sinne bewusst lebt, lebt ohne neue Karma zu erzeugen, wer in diesem Sinne meditiert, löst altes Karma auf. Auch jenes, für das er nie etwas konnte, weil irgendein ferner Verwandter unbewusst ein Trauma durch mehrere Generationen weitergegeben hat.
Herzliche Grüße,
Jan
Hallo Jan,
vielen Dank für die Mit-Teilung und die Hinweise auf „Muster“, „Karma“ und „Mehrgenerationen-Ansatz“.
Dieses „frei von allem, was mich geprägt hat“ klingt einerseits ‚attraktiv‘, also frei zu sein, andererseits ist diese Freiheit ’nicht ohne‘, weil es ja auch Angst auslösen kann, wenn Nichts mehr da ist, also auch kein „Ich“, keine Identität.
Aus meiner Meditationserfahrung zumindest habe ich den Eindruck, dass ‚das Denken selbst‘ – insbesondere in der Meditation, wenn es darum geht, den Geist zur Ruhe zu bringen – eine Art ‚Selbsterhaltung‘ und/oder auch ein Schutz vor der Angst ist, „ohne die Gedanken nicht mehr zu sein“. So wie die Körperzellen sich durch den Stoffwechsel im Grunde immer wieder ’neu erschaffen‘, versuchen die „Denkzellen“ durch den „Gedankenstoffwechsel“ sich auch selbst zu erhalten.
Und so wundert es nicht, dass (angeblich) über 90% der Gedanken sowieso dieselben Gedanken sind, die ich auch schon gestern oder gar vorhin schon gehabt habe – oder vielleicht ‚richtig rum‘: sie hatten mich ;-) .
Auch die Muster im Alltag, die „dann wieder greifen“, sind irgendwie ‚identitätsstifftend‘.
In ‚lichten‘ Momenten, wenn ich in Alltagshandlungen bewusster bin – und z.B. den diffusen Fukus ‚aktiviere‘ (-> Open Focus Aufmerksamkeitstraining), kann ich entweder die Muster in dem Moment wenigstens wahrnehmen oder ‚im Besten‘ Fall, erstaunt feststellen, dass sich das Re-Aktions-Muster quasi auflöst. Das kann sich so äußern, dass ich z.B. in einer Gesprächssituation schweige ,wo das alte Muster sich gerechtfertigt oder einen „Gegenangriff gestartet“ hätte. Dieses Schweigen ist aber kein ‚halte mal die Klappe und sag jetzt lieber nichts“, sondern eher so wie „es gibt nichts, was angreift und nichts, was verteidigt werden müsste“.
Soweit erst mal…
Vielen Dank nochmal für deine Inspiration und viele Grüße
Ulrich