Gurus waren gestern….oder „Wer immer zu anderen aufschaut, muss sich stets kleiner machen“

„Gurus waren gestern“ oder „Wer immer zu anderen aufschaut, muss sich stets kleiner machen“

Die Sehnsucht nach Gurus (“Lehrer”, “Führer” – aber auch “Therapeuten, Coaches etc.) als Träger von wichtigem Wissen ist verständlich. Das Problematische daran ist jedoch das “Top-Down-Prinzip”, also dass das Wissen quasi von Oben in Richtung “Un-Wissen” nach Unten fließt”. Aus systemischer Sicht (z.B. auch in einer Familienaufstellung) ist dies eine “Externalisierung”. Das heißt, dass etwas, was innerhalb einer Person liegt (i.d.R. eine Problem-Verhalten) nach Außen gebracht wird und beispielsweise eine Extra-Position in einer Aufstellung bekommt. Bei Problemen ist dies auch sehr sinnvoll und hilfreich. Bei Ressourcen (im Sinne von ‘hilfreichen’ Fähigkeiten) verhält es sich genau andersrum. Gurus – aber auch Idole (“Superstars”) – sind sozusagen ‘Positive Projektionen”. Meistens wird der Begriff “Projektion” verwendet, wenn man eigene unerwünschte Verhaltensweisen oder Eigenschaften nicht wahrhaben will und sie stattdessen in anderen sieht. Auch bei der ‚Positiven Projektion“ bleibt das, ‚was eigentlich in Ihnen selbst steckt“ im buchstäblichen Sinne „Außen vor“, was zur Folge haben wird – wenn sich daran nichts ändert – dass Sie ständig nach Antworten, Methoden, Wahrheiten bei anderen suchen nur nicht bei sich selbst !!!! Und ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass „Gurus“ fast immer auf einer Art Bühne sitzen und die Zuhörerschaft ‚etwas niedriger‘. Dies führt zu einer Blickrichtung  wie bei kleinen Kindern, die ‚zwangsläufig‘ Erwachsene von unten nach oben anschauen müssen. (Lukas Derks hat in seinem „Sozialen Panorama“ auf die ‚vertikale Dimension in Aufstellungen sehr schön darauf hingewiesen….) Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie nur mal als Gedanken-Experiment, davon ausgehen: Alles, was Sie an anderen bewundern, schätzen, “gut finden”, ist bereits in Ihnen selbst ‘schlummert’ und ‘schon da ist’? Es ist vermutlich (noch) nicht so ausgeprägt, wie Sie es im Gegenüber (dem Guru/Superstar) erkennen, aber es ist mindesten als Potenzial / “Samenkorn” angelegt. Und wenn dieses Wissen, diese Fähigkeit wie ein Samenkorn ist, muss es ‘nur’ gegossen werden. “Gießen” heißt praktisch, dass Sie den Fokus auf sich selbst richten, diese Qualität Schritt für Schritt selber ent-wickeln, üben, trainieren. Und, um die „Top-Down-Position“ noch mal aufzugreifen kann das ganz praktisch aussehen, indem Sie:

  • a) Dass, was Sie von Gurus hören, mit IHREN EIGENEN Worten, schriftlich oder mündlich an andere weiter geben, und /oder
  • b) dies tatsächlich an einer Position (im Raum tun), die sich von der (Zuhörer-Position unterscheidet) -> Voice Dialogue-Prinzip

Welche Bereicherung wäre das, für Sie selbst und andere Menschen…..?     Dieser Gedanken und diese Grundhaltung spiegelt sich übrigens in den meisten Angeboten des FIP-Berlin wider, insbesondere in dem Konzept des Companion-Forums, das dazu dient, diese angelegten Qualitäten – gemeinsam mit anderen “ auf gleicher Augenhöhe“ zu entwickeln.

PS Natürlich sind auch Politiker Gurus, im Sinne von „Die-da-oben-die-entscheiden-wo-es-langgehehen-soll“ …


4 Gedanken zu „Gurus waren gestern….oder „Wer immer zu anderen aufschaut, muss sich stets kleiner machen““

  1. Den Beitrag finde ich sehr interessant. Ich habe allerdings bisher keine Lösung für das „gleiche Augenhöhe-Prinzip für das Individuum. Das erstreckt sich sich weiter auf Gruppen – bis hin zu Nationen. Wer „Wissen“ hat, hat auch Macht. Guru’s nutzen diese Macht sehr geschickt – seien sie spiritueller oder politischer Art.
    Die Entwicklung des Einzelnen ist wichtig, darf aber nicht dazu führen, dass am Ende jeder sich für einen Guru hält. Kritische Distanz zu eben diesen ist mindestens genauso wichtig. Es geht also nicht (nur) darum, sich gegenüber guru’s zu emanzipieren und eigene Stärken zu entdecken, sondern deren Ideologie auch kritisch zu hinterfragen: Wenn alle nur eine Stuhlhöhe weiter oben sitzen, ist noch nichts gewonnen!
    Gruss
    A. Schübert, Tel Aviv

    1. Vielen Dank A. Schubert für Ihre Inspiration und Bereitschaft hier zu kommentieren.
      zu „… darf aber nicht dazu führen, dass am Ende jeder sich für einen Guru hält.“ kommt mir die Frage, welche Wirkung/Folge das hätte, wenn sich jeder für einen Guru hielte?! In meiner Phantasie hätte dies eher eine förderliche Auswirkung, solange kein Guru einen anderen dominieren will.

      zu „Wenn alle nur eine Stuhlhöhe weiter oben sitzen“ kommt mir das Bild von „Bis zumm Hals (oder sogar noch tiefer) in einem Sumpf zu sitzen“ und da wäre das „eine Stuhlhöhe weiter oben sitzen“ schon mal befreiend bzw. schaft eine neue Perspektive, durch die man andere Dinge sehen und auch tun kann…

      Vielen Dank noch mal.
      Viele Grüße

      Ulrich Just

  2. Sehr interessante Sichtweise! Gerade in Bezug auf Ressourcen habe ich das so noch nicht gesehen und finde es extrem wichtig, das Gefälle von „angehimmelten“ und eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht aus den Augen zu verlieren.

    Die Mischung aus Inspiration durch andere (den Gurus) und dem Nutzen der eigenen Skills ist eine erstrebenswerte Sache, wenn auch manchmal nicht einfach durchzusetzen oder zu erlangen, denke ich… Lohnenswert aber jederzeit! ;)
    Gruß,
    Michael

    1. Hallo Michael,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Dieses „Anhimmeln“,als „zu jemanden aufschauen – und ihr/ihm ’nacheifern‘, als Vor-Bild sehen“ ist vermutlich schon im Baby-Alter angelegt (-> Still face Experiment) und für die eigene Entwicklung auch hilfreich.
      Aus meiner Erfahrung wird nicht nur bei ‚klassischen‘ Gurus, sondern auch in Seminaren, Workshops etc. aus verschiedenen Gründen jedoch selten dazu eingeladen, das, was „der Guru“, die Seminar-Leiterin, vermittelt, a) zu verdauen UND dann an andere weiter zu geben bzw. b) auch und erstmal ‚in sich selbst zu schauen‘, welches Erfahrungswissen zu dem Thema bereits da ist bzw. wie man selbst dieses Wissen entdecken kann.

      EINE Möglichkeit, diese Balance zwischen ‚Guru-Wissen‘ und eigenen ‚Fähigkeiten nutzen‘ ist sowas wie das -> Companion-Forum. Aber auch Selbsthilfegruppen allgemein können dazu beitragen. Dozenten, Seminar-Leiterinnen, Lehrer etc. könnten dazu beitragen, dass sie ihren ‚Input klein‘ halten und viel mehr Raum geben, in der die „Schüler“ das Aufgenomme verdauen UND wieder- bzw. weitergeben können…

      Soweit erst mal…
      Vielen Dank nochmal für die Inspiration

      Viele Grüße

      Ulrich

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